Schwabe: Verantwortliche eines Tages zur Rechenschaft ziehen
Nicht vergessen will der Europarat die Menschen in den Ländern, die nicht Mitglied der Organisation sind, wie Russland oder Belarus, sagt Frank Schwabe (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV), zu deren 3. Sitzungswoche die Abgeordneten aus den 46 Mitgliedstaaten vom 20. bis 24. Juni 2022 in Straßburg zusammenkamen. Es gehe darum, die Akteure, die an die Werte des Europarats glauben, dort zu unterstützen, Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Interview spricht Schwabe über ein mögliches Sondergericht für die russischen Verbrechen in der Ukraine, seinen Bericht über den Nordkaukasus und den geplanten Gipfel der Staats- und Regierungschefs des Europarates. Das Interview im Wortlaut: Herr Schwabe, der russische Angriff auf die Ukraine dauert nun schon vier Monate. Wie wurde dieses Thema von der Versammlung behandelt? Das Thema ist permanent präsent. Es gab beispielsweise eine Dringlichkeitsdebatte zur Frage der blockierten Getreidelieferungen, aber der Krieg kam natürlich auch in der russischen Menschenrechtsdebatte vor. Die russische Aggression nach außen ist eng verknüpft mit der Aggression gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger nach innen. Was hat die ukrainische Delegation vor allem beschäftigt? Parallel hat die Europäische Union der Ukraine ja den Beitrittskandidatenstatus gegeben. Das war auch in unseren Debatte sehr präsent. Die ukrainische Delegation versucht vor allem handlungsfähig zu bleiben. Und sie nutzt die Zeit in Straßburg, um Initiativen zur Unterstützung der Ukraine mit den Parlamentarierinnen und Parlamentariern der nationalen Parlamente zu diskutieren. Aus der Versammlung kommt der Vorschlag ein Sondertribunal einzurichten, um den russischen Präsidenten und weitere Akteure der russischen Regierung wegen des Angriffskriegs und der Verbrechen in der Ukraine vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen. Was könnte der Beitrag der Parlamentarischen Versammlung beziehungsweise des Europarates zu einem solchen Tribunal sein? Der Europarat unterstützt insbesondere die Ukraine selbst in ihren Möglichkeiten mit den Verbrechen umzugehen, dazu gehört vor allem auch deren Dokumentation. Das betrifft vor allem die ukrainische Generalstaatsanwältin, aber auch das Sondertribunal ist eine der diskutierten Optionen die Verbrechen zu ahnden. Unter Umständen könnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Richterinnen und Richter an ein solches Tribunal entsenden und so als Gericht mit großer Erfahrung wichtige organisatorische Hilfe leisten. Sie haben der Versammlung Ihren Bericht zur Situation der Menschenrechte im Nordkaukasus vorgelegt. Was für Eindrücke haben Sie während Ihrer Reise als Berichterstatter vor zwei Jahren gewonnen? Ich war im September 2019 in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens. Reisen nach Inguschetien und Dagestan waren leider nicht möglich. Aber trotzdem gab es viele Begegnungen virtuell und außerhalb Russlands. Als ich in Grosny war, wurde mir im Grunde eine Show vorgespielt. Richtige Nichtregierungsorganisationen habe ich nicht zu Gesicht bekommen. Aber das hat natürlich den Eindruck verschärft. Es handelt sich - jenseits der Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine - um das dunkelste Kapitel von Menschenrechtsverletzungen in Europa. Es herrscht die Willkür Ramsan Kadyrows, der meinen Besuch genutzt hat, mich öffentlich zu beschimpfen. Ihr Bericht betrachtet Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien - Regionen in In Russland. Russland ist aber seit diesem Jahr nicht mehr Mitglied des Europarates. Was soll der nun angenommene Bericht bewirken? Er gibt Aufmerksamkeit für die Lage dort. Er ist ganz wichtig, um den Menschen zu zeigen, dass wir sie nicht vergessen. Und wir sammeln Hinweise, damit die Verbrechen eines Tages aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. Was kann der Europarat für die Menschen in Ländern tun, deren Regierungen nicht mit der Organisation kooperieren und die außen vor sind wie Russland oder Belarus? Das war im Zentrum meines Berichts vom April und spielte auch jetzt beim Besuch der belarusschischen Oppositionsführerin Svetlana Tichanowskaja eine zentrale Rolle. Wir wollen feste Strukturen etablieren, um auch die Zivilgesellschaft und die Opposition aus europäischen Nichtmitgliedsländern an uns zu binden. Insbesondere der Deutsche Bundestag hat dafür zusätzliche Gelder im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt. Im ebenfalls während der Sitzungswoche vorgelegten Bericht des polnischen Abgeordneten Bogdan Adam Klich geht es um die künftige Arbeit und Rolle des Europarates angesichts neuer Aufgabenstellungen wie Migration, Energie- und Nahrungsmittelsicherheit. Wie kann der Europarat angesichts solcher Herausforderungen der Sicherheit seiner Mitgliedstaaten einen sicherheitspolitischen Beitrag leisten ohne sein Mandat zu verlassen? Es zeigt sich immer wieder, dass ein enger Zusammenhang zwischen der innenpolitischen Lage und der Außenpolitik besteht. Wenn im Land Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat geachtet werden, wird das auch in einer Außenpolitik sichtbar, die eher auf Ausgleich und Deeskalation setzt. Und andersherum eben auch. Deshalb hat der Europarat auch eine nicht zu unterschätzende sicherheitspolitische Bedeutung. Wiederholt hat die Versammlung einen neuen Gipfel der Staats und Regierungschefs der Mitgliedsländer des Europarates gefordert. Was könnte so ein Gipfel bringen, außer den Mitgliedern der Organisation für einen Augenblick etwas mehr Sichtbarkeit zu verleihen? Der sogenannte 4. Gipfel ist im Grunde auf dem Weg. Alle Bereiche des Europarats bereiten sich darauf vor. Zum einen geht es um Selbstvergewisserung anlässlich fundamentaler Herausforderungen. Sind wir bereit die Werte des Europarats umfassend zu achten und die Regeln durchzusetzen? Es geht aber auch darum wie wir mit den Teilen und Ländern Europas verfahren, die nicht offiziell Mitglied des Europarats sind. Wie stärken wir dort trotzdem die Akteure, die an die Werte des Europarats glauben. Also heute vor allem in Belarus und Russland. (ll/28.06.2022)
Vor 20 Jahren: Bundestag beschließt Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses
Vor zwanzig Jahren hat der Deutsche Bundestag den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses als Humboldt-Forum beschlossen. Über die Zukunft der Spreeinsel in der historischen Mitte der heutigen Hauptstadt war seit Ende der 90er heftig gerungen worden. Die einen wollten die Barockfassade zurück, die anderen moderner Architektur eine Chance geben. Nach einer engagiert geführten Plenardebatte am Donnerstag, 4. Juli 2002, dann das für viele überraschend klare Votum: Mit deutlicher Mehrheit entschied sich das Parlament für den Bau des Humboldt-Forums in der rekonstruierten Außenfassade des ehemaligen Schlosses. In namentlicher Abstimmung sprachen sich 380 Abgeordnete dafür aus, die barocke Nord-, West- und Südfassade wiederherzustellen, ebenso den kleinen Schlosshof, auch Schlüterhof genannt. Rund dreimal so viele wie für den Gegenvorschlag, nach welchem die Fassadengestaltung erst in einem offenen Architektenwettbewerb hätte geklärt werden sollen – wobei allein die kubische Form gesetzt gewesen wäre, was auch alternative, zeitgenössische Entwürfe ermöglicht hätte. Damit folgte das Parlament der Empfehlung der internationalen Expertenkommission "Historische Mitte Berlin", die Anfang 2001 von Bundesregierung und Berliner Senat mit dem Ziel eingesetzt worden war, die mehr als ein Jahrzehnt währende Schloss-Debatte auszuwerten, Konzepte zu bündeln und eine Entscheidungshilfe zu erarbeiten. Rekonstruktion oder offener Wettbewerb? Ihre Aufgabe war es, Vorschläge für die Zukunft eines Platzes zu entwickeln, auf dem einst eines der bedeutendsten Barockschlösser Nordeuropas stand. Mitte des 15. Jahrhunderts errichtet und zwischen 1689 und 1706 nach Plänen des Architekten Andreas Schlüter zur Barockanlage umgebaut, diente das Berliner Stadtschloss Kurfürsten, preußischen Königen und dem deutschen Kaiser als Residenz. Im Zweiten Weltkrieg wurde es bei einem Bombenangriff schwer beschädigt; wenige Jahre später ließ die DDR-Führung seine Überreste abtragen – um an ihrer Stelle den sogenannten Palast der Republik hochzuziehen, Sitz der DDR-Volkskammer und Kulturzentrum. Im Rahmen ihrer mehr als einjährigen Arbeit beschäftigte sich die Expertenkommission sowohl mit der Nutzung als auch der Gestaltung der Fläche. Während es im Bundestag in puncto Nutzungskonzept weitgehende Übereinstimmung gab – die Kommission hatte die Idee eines Humboldt-Forums als „Zentrum des Dialogs zwischen den Kulturen und der Wissenschaft“ eingebracht – war die Frage der Außengestaltung umstritten. So fasste der Kulturausschuss die Ausgangslage in seiner Beschlussempfehlung zusammen (14/9660). Diese bestand aus zwei Teilen: einer Entschließung, mit welcher der Bundestag seine Zustimmung mit dem Nutzungskonzept erklärte und einem Alternativteil, in welchem er die vielen Anträge zur Gestaltung des Schlossplatzes (14/1752, 14/3673, 14/9023, 14/9222, 14/9243, 14/4402, 14/9244) zu einer zentralen Frage komprimierte: Rekonstruktion oder Wettbewerb? Zwischen diesen beiden Varianten solle das Plenum entscheiden, befand der Ausschuss. Der Mitte Berlins ihr Herz zurückgeben Bevor es zur Abstimmung kam, lieferten sich die Verfechter beider Lager eine kontroverse Debatte. Die Befürworter der Rekonstruktion waren überzeugt: Ohne Schloss fehle der Mitte Berlins ihr Herz. „Man begreift das sehr schnell, wenn man sich den Stadtraum an dieser Stelle von oben anguckt“, sagte Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen). „Man sieht dann nämlich, dass das historische Berlin um dieses Schloss herum konstruiert worden ist.“ Auch Dr. Günter Rexrodt (FDP) sagte, die barocke Fassade sei mehr als jede andere geeignet, den Baukörper mit der Museumsinsel zu einem einheitlichen Ganzen zu verbinden. „Es soll ein Gebäude sein, das sich zur Zukunft bekennt, aber die Tradition aufnimmt.“ Wie viele Unterstützer dieser Variante betonte Vollmer die „allererste Qualität“ von der das Schloss gewesen sei: „Die Baumeister Schlüter, Eosander und später Erdmannsdorff waren allererste Baumeister ihrer Zeit.“ Wer sich für den Wiederaufbau der Fassade einsetze, hänge folglich keinem nostalgischen Bild an, so die Grünenabgeordnete. Sondern versuche, etwas zu rekonstruieren, „was von ganz großer Bedeutung war“. Den hohen Stellenwert des Platzes hob auch der Unionsabgeordnete und spätere Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hervor. Die Geschichte Berlins, Brandenburgs, Preußens und Deutschlands hätten an dieser Stelle über Jahrhunderte ihren Kristallisationspunkt gehabt, betonte Lammert. Mit dem Wiederaufbau des Schlosses gehe es nicht darum, die Geschichte zu glorifizieren oder zu verdrängen. „Wir wollen sie vergegenwärtigen." Schloss-Debatte auf der Zielgeraden Lammert warb dafür, die Debatte zu einem Ende zu bringen. Aus seiner Sicht lägen alle Voraussetzungen für eine Grundsatzentscheidung vor. Es gebe diverse Gutachten, Wettbewerbe, zahlreiche Bücher und Aufsätze, Anträge, Anhörungen und Resolutionen. „Aus der Fülle denkbarer Optionen sind ganze zwei wichtige Alternativen übrig geblieben“, sagte Lammert. Nun gehe es darum, zu entscheiden, „ob sich die Debatte endlos im Kreise drehen oder auf ein erkennbares Ziel zugeführt wird“. Der damalige Bundestagspräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse war der Meinung, es werde sich in der Bevölkerung für keinen anderen Vorschlag eine Mehrheit finden. Schließlich sei die Einsetzung der Kommission eine Antwort auf die Ratlosigkeit gewesen, die sich nach zehn Jahren Debatte ohne Ergebnis eingestellt hätte. Thierse selbst plädierte für die Barockfassade, was er jedoch nicht als generelle Absage an moderne Architektur verstanden wissen wollte. Auch der Unionsabgeordnete Günter Nooke befand: „Jungen Architekten und Stararchitekten bleibt in Berlin genügend Raum, um große zeitgenössische Architektur zu verwirklichen“. Dialog zwischen Inhalt und Form Anders sahen das die Verfechter des Architektenwettbewerbs. „Neben dem Historischen muss an diesem Ort auch die Gegenwart eine Chance erhalten“, sagte etwa der SPD-Abgeordnete Eckardt Barthel. Auch die Grünen-Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig sprach sich für die zweite Variante aus. Ihrer Ansicht nach brauche es ein anderes Vorgehen. Die Abgeordnete betonte, „dass man über Architektur und bauliche Gestaltung erst dann abstimmen sollte, wenn die Bilder und Planungsalternativen erarbeitet worden sind und das Gebäude in Form und Nutzung anschaulich gemacht worden ist“. Es gehe darum, einen „stimmigen Dialog“ zwischen dem Inhalt und der dafür notwendigen baulichen Form zu führen. Ein Architektenwettbewerb eröffne die Möglichkeit, gestalterische Alternativen zu erarbeiten. „Dann sollen diejenigen gewinnen, die wirklich das stimmigste und anschaulichste Konzept haben, und uns alle überzeugen“, sagte Eichstädt-Bohlig. Was auch bedeuten könne, dass die Entscheidung am Ende zugunsten eines modernden Konzepts mit Schlossfassade falle. Es dürfe jedoch vorab kein Diktat von der einen oder anderen Seite geben. An die Abgeordneten appellierte sie: „Halten Sie die richtige Reihenfolge ein, also zuerst das inhaltliche Konzept zu konkretisieren und Finanzierungsmöglichkeiten zu finden!“ Anspruch auf breite Akzeptanz Auch Dr. Thomas Flierl, Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin, sprach sich für ein solches Vorgehen aus: „Nach Auffassung der den Berliner Senat tragenden Parteien sollte der verabredete Weg einer stufenweisen Entwicklung des Projekts weiter beschritten werden und Architektur und Fassadengestaltung erst im Ergebnis eines offenen Wettbewerbs geklärt werden.“ Nach seiner Auffassung hätte eine Entscheidung, die im Rahmen eines transparenten öffentlichen Verfahrens getroffen werde, auch mehr Anspruch auf breite Akzeptanz. Dass die Abgeordneten ohne Fraktionszwang über die beiden Alternativen abstimmten, stieß bei dem SPD-Abgeordneten Barthel auf Zustimmung. Schließlich seien die Diskussionen über dieses Thema in den Freundeskreisen und bis in die Familien hinein mit Pro und Kontra geführt worden. Begegnung der Kulturen der Welt Mit der Entscheidung im Bundestag rückte der Wiederaufbau des Berliner Schlosses einen großen Schritt näher. Bis das Humboldt-Forum seine Türen für Besucherinnen und Besucher öffnete, sollte es aber noch einige Jahre dauern. Am Mittwoch, 12. Juni 2013, legte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck im Beisein zahlreicher prominenter Vertreter aus Politik und Gesellschaft den Grundstein. „Dem Humboldt-Forum im wiedererrichteten Berliner Stadtschloss wünsche ich eine lebendige Begegnung der Kulturen der Welt“, sagte Gauck. Wiederum acht Jahre später wurde das Museum eröffnet. (irs/30.06.2022)
Kommentare
Hoffentlich wachen die Bürgerinnen und Bürher auf!
Es geht um ihre grüne Lunge im urbanen Gefüge.